Wie ein Gladiator in der Arena: Spitzenruderer und BSc-Student Joel Schürch blickt auf die Olympischen Spiele in Paris zurück
Joel Schürch ist ein Olympia-Routinier. Bereits zum dritten Mal nahm er an Olympischen Spielen teil: 2016 in Rio noch Ersatzmann, griff er 2021 in Tokio und nun in Paris im Vierer ohne in die Riemen. Im Rückblick beantwortet der 29-jährige Luzerner, der für den Seeclub Sursee startet, einige Fragen und erzählt, was in Paris besonders war.
Ihr – das sind Patrick Brunner, Tim Roth, Kai Schätzle und du – habt euch recht spät für die Olympischen Spiele in Paris qualifiziert. Wie verlief die Vorbereitung?
Wir qualifizierten uns erst im Mai mit einem zweiten Platz bei der Qualifikationsregatta in Luzern. Ab da verlief die Vorbereitung gut. In Paris fühlten wir uns bereit.
Vorher hatten wir aber wiederholt mit Verletzungen und krankheitsbedingten Ausfällen zu kämpfen. Mich erwischte es mit einer Entzündung am Rippenbogen, das ist eine klassische Ruderverletzung.
Die Selektion der Boote für die Olympischen Spiele ist sehr anspruchsvoll, weil sich nur wenige pro Disziplin qualifizieren können. Bist du mit der Schlussrangierung zufrieden?
Die Qualifikation bedeutet, dass man zu den Top 10 der Bootsklasse gehört. Wir strebten den 6. Rang an. Deshalb sind wir mit dem 9. Schlussrang nicht ganz zufrieden. Aber es muss auch gesagt sein: Ich bin der Älteste im Boot, die anderen sind jünger und nahmen zum ersten Mal an Olympischen Spielen teil. Das ist etwas ganz anderes als eine Weltmeisterschaft, die Dimensionen sind nicht vergleichbar. Deshalb geht der 9. Rang in Ordnung.
Ihr seid in den Läufen jeweils mit einer im Vergleich zur Konkurrenz höheren Schlagzahl gestartet. Weshalb? Was war eure Taktik?
Wir schlagen gerne eher hoch, das gibt uns das Gefühl, einen besseren Rhythmus zu haben.
Wir wollten vom Start weg vorne dabei sein. Die ersten 1500 m waren jeweils gut, die letzten 500 m dann weniger. Es gelang uns nicht, zum Schluss noch einen Zacken zuzulegen.
Du sitzt im Bug, also zuhinterst im Boot. Was sind deine Aufgaben?
Jede Person im Boot nimmt eine spezielle Aufgabe wahr: Ich bin der Techniker. Vor mir sitzt Tim Roth. Er gilt als «Maschinenraum». Tim ist gross, schwer, hat eine super Physis und sorgt für Schub und Power. Dann kommt Patrick Brunner. Als «zweiter Schlagmann» muss er den Schlag des Schlagmanns abnehmen und ist für einen guten Rhythmus zuständig. Zuvorderst sitzt Kai Schätzle: Er ist sowohl Steuermann als auch Schlagmann. Er steuert mit dem Steuerfuss das Boot in der Bahn und gibt den Rhythmus und die Schlagzahl vor.
Du warst bereits an den Olympischen Spielen in Rio und in Tokio dabei. Was war diesmal anders?
In Rio nahm ich im Vierer ohne (Leichtgewicht, bis 70 kg) als Ersatzmann teil. Da diese Bootskategorie anschliessend aus dem Olympiaprogramm fiel, wechselte ich auf die Schwergewichtsklasse. Darin qualifizierte ich mich für Tokio. Tokio war sehr speziell, weil man lange nicht wusste, ob die Spiele überhaupt stattfinden. 2021 – mit einem Jahr Verspätung – gingen sie dann über die Bühne. Das war unbefriedigend: Es gab kein Publikum, der Druck, an Corona zu erkranken und dann nicht starten zu können, war riesig. Täglich mussten wir Selbsttests machen und darauf warten, ob wir fahren durften. 48 Stunden nach dem Wettkampf mussten wir wieder nach Hause reisen. Von Tokio habe ich nichts gesehen. Das war in Paris ganz anders. An den Wettkämpfen kam man sich angesichts der Tausenden von Zuschauenden vor wie ein Gladiator in der Arena!
Wie war das olympische Dorf?
Die olympischen Dörfer sind immer ähnlich. Der Esssaal ist riesig und 24 h am Tag offen, das Angebot unglaublich. Aber Essexperimente machten wir erst nach dem Wettkampf.
Das olympische Dorf bietet viel Abwechslung, aber auch Ablenkung. Es gab alles, sogar ein Tattoo-Studio. Ob all der Attraktionen droht die Gefahr, den Fokus auf die Wettkämpfe zu verlieren. Da hilft die Erfahrung früherer Olympiateilnahmen.
Grundsätzlich war die Stimmung im olympischen Dorf sehr friedlich. Es gab keine Auseinandersetzungen. Das ist angesichts der weltweiten kriegerischen Konflikte nicht selbstverständlich. Es ist einfach toll, andere Athletinnen und Athleten mit gleichem Mindset zu treffen.
Swiss Olympic gibt vor, dass die Athletinnen und Athleten das olympische Dorf 48 Stunden nach dem Wettkampf verlassen müssen. Das ist auch richtig so, denn diejenigen, die ihren Wettkampf hinter sich haben und feiern können, sollen die anderen nicht stören.
Was war dein speziellstes Erlebnis in Paris?
Mein Highlight nach dem eigenen Einsatz war, dass die akkreditierten Athletinnen und Athleten auf einer Ticketplattform Gratis-Tickets für die anderen Wettkämpfe bestellen konnten. So unterstützten wir andere Schweizer Athletinnen und Athleten vor Ort in den Stadien (Beachvolleyball, Leichtathletik, Ringen). Das war ein tolles Erlebnis!


