«Ethik im Sport ist ein positiver Mehrwert»
Seit Beginn des Jahres 2023 sind ethische Grundsätze im Sport rechtlich stärker und verbindlicher verankert. Im Gespräch über Ethik im Sport erklärt Pierina Schreyer, Leiterin Fachstelle Integration und Prävention an der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen EHSM und Kernteammitglied des Projekts «Ethik im Schweizer Sport» BASPO Phase 2, wie das Teilprojekt Bildung am BASPO vorangetrieben wird.

Pierina, gehen wir davon aus, dass ich ein Juniorentrainer beim lokalen Volleyballclub bin. Nun höre ich überall von «Ethik im Sport». Was bedeutet das effektiv für meine Arbeit im Club?
Das ist eigentlich ganz einfach: Dass du den Menschen, also in deinem Beispiel deine Junioren, ins Zentrum stellst; dass du ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden schützt, ihre Grenzen akzeptierst und mit deinem Handeln einen positiven Beitrag zu deren Persönlichkeitsentwicklung leistest – etwa indem du die persönlichen Fortschritte der Junioren anerkennst, wertschätzt und Feedback gibst. Oder indem du sie beteiligen lässt und eine gute Teamkultur pflegst. Ganz bestimmt tust du bereits vieles dafür. Es bedeutet auch, dass du herausfordernde Situationen oder Risiken besprichst und Verstösse meldest. Und auch, dass du die Werte des Schweizer Sports kennst und sie mit deinen persönlichen Überzeugungen abgleichst. Es ist wichtig, dass du deine Haltung reflektierst und du Klarheit über die Motivation deiner Handlungen und Entscheidungen hast.
Beim Begriff Ethik schrecken viele erst einmal zurück …
Ethik wird oft als etwas Negatives, Mühseliges wahrgenommen. Sie wird häufig mit Regeln, Gesetzen und Normen in Verbindung gebracht. Klar, das gehört dazu, ist aber bloss ein kleiner Teil. Ethik ist viel mehr und hat viele positive Aspekte, vor allem, wenn es darum geht, einen wertvollen Sport zu ermöglichen. Es muss uns gelingen, dass Ethik als positiver Mehrwert anerkannt wird, also Sinnhaftigkeit für die Sache entsteht. Da kannst du als Juniorentrainer direkt Einfluss nehmen und die Menschen darin motivieren und stärken.
Wie gelangen die ethischen Grundwerte aus deinem Kopf als Kernteammitglied des Ethik-Projekts in die Köpfe der Kinder und Jugendlichen?
Nicht nur in die Köpfe, sondern in deren Handlung! Es soll mehr passieren, als nur Wissen in die Köpfe zu bringen. Das Wissen ist nur ein Aspekt, der gelingendes Lernen ermöglicht. Nebst dem Wissen sind es die Haltung und das Können, die notwendig sind, um konkrete Herausforderungen in der Praxis ethisch vorbildlich zu bewältigen. Wissen ist leicht zu vermitteln. Die Frage ist: Wie gelingt es, dass die ethischen Grundwerte an der Basis auch gelebt werden? Das ist nur möglich mit aktivem Vorleben. Ich muss sie vorleben, ich muss sie aber auch einfordern und für sie einstehen. Auch muss ich immer wieder zur Reflexion anregen und auch meine eigenen Überzeugungen und Werthaltungen kontinuierlich überprüfen, reflektieren und abgleichen. Hierfür benötigt es Bereitschaft und Motivation. Genau das ist entscheidend, dass es nicht nur in den Köpfen bleibt.
Wie schafft man das?
Anhand von Situationsbeispielen, die Betroffenheit auslösen, gehen wir in den Dialog mit unseren Zielgruppen (Leiterinnen und Leiter oder Trainerinnen und Trainer und so weiter), um ihnen wertvollen Sport, Irritationen oder Verstösse und Missstände aufzuzeigen. Bei der Einschätzung von Situationen kann ein spannender Dialog entstehen, denn meine Einschätzung muss nicht unbedingt dieselbe wie die Einschätzung meines Gegenübers sein. Es ist eine Kombination von Anwendung, Reflexion und Abgleich der eigenen Haltung. Es ist aber natürlich eine lange Kaskade vom BASPO bis zum Kind an der Basis. Direkt bis zum Kind oder Jugendlichen wirken kann ich da schon eher in der Rolle als Leiterin von Sportaktivitäten oder als Mutter – und nicht in meiner Funktion als Leiterin der Fachstelle.
Wie kannst du diese Werte auch in die Aus- und Weiterbildung am BASPO – zum Beispiel bei J+S oder auch den anderen Mitarbeitenden – «einpflanzen»?

Ethik und Werte werden ja schon seit Jahren in der Aus- und Weiterbildung im Sport als Themen aufgegriffen. Aber: Die Inhalte in den unterschiedlichen Bildungsgefässen sind bis anhin nicht richtig aufeinander abgestimmt. Und es gibt wenig bis keine Verbindlichkeit. Aber wir brauchen Kohärenz, also Zusammenhänge und Koordination über alle Bildungssysteme hinweg! Dieser Aufgabe nimmt sich das Teilprojekt Bildung aus dem BASPO-internen Ethik-Projekt an. Darin vertreten sind Heinz Müller (Trainerbildung), Andreas Steinegger (Jugend- und Erwachsenensport), Thomas Wyss und ich von der EHSM, also eine bereichsübergreifende Vertretung. Auch Swiss Olympic wirkt mit Natalie Barker-Ruchti und Rafael Meier aktiv in der Arbeitsgruppe mit.
Was passiert dabei?
Wir sind aktuell daran, sogenannte «Ethikkompetenzen» zu formulieren. Damit meinen wir übergeordnete Kompetenzen in Bezug auf Ethik, ein Zusammenspiel von Wissen, Haltung und Können. Kompetenzen, die auf einen wertvollen und würdevollen Sport hinzielen und künftig in allen Bildungsgefässen des Sports gefördert werden sollen. Natürlich zielgruppenspezifisch und in verschiedenen Vertiefungen. Denn: Eine Trainerin begegnet anderen Herausforderungen als ein J+S-Leiter oder eine Verbandsfunktionärin. Wir sind daran, diese «Ethikkompetenzen» zu finalisieren. Sie dienen als Orientierung. Und zur Entwicklung von konkreten Lernzielen und Lehrplänen für die unterschiedlichen Zielgruppen. Ganz wichtig bleibt, dass die Förderung der Kompetenzen die Zielgruppen in ihrem ethisch kompetenten Handeln stärken. Mit dem Bildungsauftrag, den das BASPO hat, können wir hier wichtige Arbeit für einen wertvollen und würdevollen Sport leisten.
Eine konkrete Massnahme, die Swiss Olympic erarbeitet, ist der Ethik-Kompass, bei dem sich auch das Kernteam des BASPO-internen Ethik-Projekts einbringen konnte. Wie entstand dieser Kompass und wie funktioniert er?
Der Ethik-Kompass von Swiss Olympic hat in erster Linie zum Ziel, Gedanken anzuregen und einen Austausch zu Ethik-Themen und Haltungen zu fördern. Er schafft in diesem gemeinsamen Nachdenken Orientierung und bietet eine Grundlage zur Lösungsfindung. Er gibt dir für deine spezifische Situation aber keine pfannenfertigen Lösungen. Die Verantwortung zur Lösungsfindung liegt weiterhin beim Trainer, der J+S-Leiterin oder der Funktionärin. Swiss Olympic ist daran, den Ethik-Kompass zu finalisieren. Die offizielle Publikation auf der Webseite von Swiss Olympic wurde auf den 1. Februar 2024 terminiert.
Eidgenössische Hochschule für Sport Magglingen EHSM
Pierina Schreyer
Hauptstrasse 247
2532 Magglingen
