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MitteilungVeröffentlicht am 24. Juli 2024

«Die Fragilität des Moments fasziniert mich»

Louis Heyer ist Trainingswissenschaftler an der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen EHSM und Cheftrainer Lauf beim Leichtathletikverband Swiss Athletics. An den Olympischen Spielen wird er Athletinnen und Athleten betreuen, die über Mittelstreckendistanzen antreten – und erzählt von den Herausforderungen eines solchen Grossanlasses.

Louis, du wirst als Cheftrainer Lauf für Swiss Athletics nach Paris reisen. Wann geht es für dich los?

Vor den Olympischen Spielen steht immer die Frage im Raum, ob wir schon für die Eröffnungszeremonie anreisen oder lieber etwas später. Die Feier ist emotional wichtig, aber wir müssen auch sportliche Überlegungen berücksichtigen. Wir reisen bereits am 25. Juli an, um vorher das olympische Dorf zu erkunden. Es ist ein riesiges Areal, voller Möglichkeiten und Menschen. Das ist spannend, aber auch sehr ermüdend und kostet viel Energie. Verbringt man zu viel Zeit an diesem Ort, laugt das einen auch aus. Nach der Zeremonie am 26. Juli reisen wir deshalb an einen Ort nördlich von Paris, um uns fünf Tage lang zurückzuziehen und auf die Vorläufe vorzubereiten.

Louis Heyer

Wie gestaltet sich dein Tagesablauf während der Spiele?

Ich stehe auf und werde mir jeden Morgen leckere Croissants holen (lacht). Nein, im Ernst: Der Tagesablauf variiert stark. Morgens haben wir oft Staff-Meetings, danach ist das Programm individuell angepasst an die Bedürfnisse der Athletinnen und Athleten. Besonders wenn es heiss ist, trainieren wir früh am Morgen, um die Hitze zu vermeiden. Als Cheftrainer für den Laufbereich koordiniere ich alle Aspekte für die Athletinnen und Athleten. Es geht nicht mehr um Trainingspläne, denn während der Spiele kann man eigentlich nicht mehr trainieren. Es geht vielmehr um die mentale Unterstützung, welche die Athletinnen und Athleten benötigen, um am Wettkampftag ihre Top-Leistung abrufen zu können. Ich werde also vom Trainer zum Coach. Besonders ist auch, dass ich Athletinnen und Athleten betreue, die sonst von einer anderen Person trainiert werden. Hier bin ich im engen Kontakt mit den jeweiligen Heimcoaches, um zu spüren, was die Person, die ich betreue, gerade benötigt.

Wie kannst du das spüren?

Ich beobachte sehr genau. Manchmal kommt es vor, dass Athletinnen und Athleten ständig unterwegs sind, weil sie viele Leute treffen und jede Sekunde geniessen wollen. Da schicke ich auch manchmal jemanden aufs Zimmer, damit sie oder er runterfahren kann (lacht). Andere hingegen fühlen sich überfordert und ziehen sich zurück. Dann versuche ich, sie zu animieren: Ich gehe mit ihnen einen Kaffee trinken oder spiele mit ihnen eine Partie Tischtennis.

Das tönt auch für dich nach viel Arbeit. Wie bereitest du dich persönlich auf diese Zeit vor?

Ich achte darauf, gut erholt anzureisen. Die kommenden Wochen gehe ich bewusst ruhig an, um fit in Paris anzukommen. Vor Ort suche ich mir kleine Zeitfenster, um mich zu erholen. Sei es durch Spaziergänge oder einen Moment für mich allein mit einem Kaffee auf der Terrasse. Abschalten ist auch für mich wichtig, um meine beste Leistung abrufen zu können. Eine Herausforderung ist für mich auch immer die Rückkehr nach Hause, besonders nach einer so intensiven Zeit. Es geht dann darum, den Übergang zurück zum Alltag und zur Familie zu schaffen, was nicht immer einfach ist.

Worauf freust du dich in den kommenden Wochen am meisten?

Die Intensität der Emotionen an sportlichen Grossanlässen fasziniert mich jeweils sehr. Die Fragilität des Moments, die Nähe zwischen riesiger Freude und Enttäuschung, ist einzigartig. Diese emotionale Dichte ist für mich extrem spannend und zeigt, wie intensiv der Sport sein kann. Denn letztendlich ist es eben doch nur Sport. Es ist ein Spiel, und es ist nicht tragisch, wenn ein Wettkampf misslingt. Dann geht das Leben trotzdem weiter.